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Letzte Woche haben wir den Konjunktiv gelernt
7 Okt , 2016
Unsere freiwillige Deutschlehrerin Esther van Messel über ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Flüchtenden.
„Letzte Woche haben wir den Konjunktiv gelernt“, sagt Johannes ruhig. Aber in seinen Augen blitzt Stolz auf. Oder Schalk, ich bin mir bei ihm nie ganz sicher.
Letzte Woche war ich im Ausland. Wenn ich in Zürich bin, verbringe ich seit einer Weile zwei Stunden am Samstagmorgen in der Erlöserkirche.
Die Kirche hat den grossen Klubraum für Deutschunterricht zur Verfügung gestellt, und am Anfang kamen nur eine Handvoll Flüchtlinge.
In den letzten Wochen sind es mehr geworden, jetzt kommen Frauen, und kleine Kinder.
Jeden Samstag kocht eine andere Gruppe von Flüchtlingen Zmittag für nach dem Unterricht, oft sind es Nordafrikaner, das macht mich froh, ich kenne das Essen und ich liebe es.
Die meisten Schüler sind zwischen 20 und 30 Jahren alt, junge Männer, hilflos und orientierungslos und verloren, in einer Zeit im Leben in der ein junger Mann alles andere als das sein will.
Sie kommen oft aus Äthiopien, aus Eritrea (wie Johannes), aus dem Sudan oder Gambia. Syrer, Afghanen und Iraker trafen wir erst in der letzten Zeit, sie sind scheuer und wir reden nicht darüber, wie wer hierhergekommen ist. Jede Woche setzt sich die Schülergruppe anders zuammen, und auch wir Freiwillige sind nicht so regelmässig anwesend wie es nützlich wäre. Diese wechselnden Besetzungen sind eine der grossen Herausforderungen, jede Woche gruppieren wir uns neu, wer kann schon ein bisschen deutsch, wie lange bist du schon hier, kommt, setzt euch hierher, wir nehmen mal den Atlas in die Hand.
Viele kennen Europa überhaupt nicht, ich frage mich, ob sie wussten, wohin sie flüchten. Wo liegt Skandinavien, frage ich, sie zögern. Amerika, dort drüben! Und Australien, das kennen sie auch oft.
Hier und dort fallen ein paar Wortfetzen, wir ahnen, daß die einen übers Mittelmeer geflüchtet sind, die anderen in hermetisch verschlossenen Lieferwagen. Ein Kurde, um die 60, graue Haare die immer perfekt gekämmt sind, immer im sauberen Hemd und mit grosser Höflichkeit (“Ich arbeitete in der Bank”), erzählte mal am Rande einem Kollegen, daß er die Wagentüre aufstossen musste, sie waren zwei dutzend Leute und kriegten keine Luft mehr.
Die jungen Männer sind nicht so distinguiert, sie würden sich gerne schön kleiden, was auch immer das für junge Männer aller Art bedeuten mag, und schaffen hier nur die billige Kopie davon. Ein cooles T-Shirt bringt schon die Bewunderung der Kollegen. Familien haben sie hier nicht, kein Vater, der ihnen Anstand vorlebt, keine Oma, bei der sie sich mal ausheulen können. Wir haben über Berufe gelernt, sie fanden den Unterschied zwischen Bauer auf dem Bauernhof und Bauarbeiter auf der Baustelle nur schwer nachvollziehbar. Ich hatte mir das so nie überlegt aber ich muss ihnen recht geben, es klingt irgendwie sehr ähnlich. Die jungen Männer sind Maler, Mechaniker, wenn ich sie bitte, von ihrer Arbeit zu erzählen, werden sie stolz. Als Asylbewerber dürfen sie in Zürich nicht arbeiten, dabei wäre das so wichtig für sie – und für uns. Ihre billigen Mobiltelefone sind der einzige Draht zu ihrem wahren sozialen Netz, das sie halten kann, in dem sie erwachsen werden können.
Wenn wir über das Wetter reden, amüsiert sie der Unterschied zwischen Nebel und Kälte, wenn wir über Orientierung in der Stadt reden, Entschuldigen Sie, wie komme ich zum Bahnhof, sprechen sie aus Erfahrung. Ich komme aus Schwamendingen, sagt der eine. Ich aus Oerlikon, der andere. Urdorf. Hinwil. Und Yussif, der kommt aus Bülach, und er kann das ‘ü’ nicht aussprechen, also üben wir es fleissig. Mit ihm nehmen wir den fünf-nach-fünf-Zug nach Bülach. Fumpf, sagt er immer wieder, und lacht. Er kommt aus dem Sudan, dort gibt es keine Minutenangaben im Fahrplan, erzählt er.
Die Tibeter sind eine Gruppe für sich, die ich weniger gut kenne. Sie können schon besser deutsch und ich bin meistens mit denen, die Arabisch als Lingua Franca haben, da amüsiere ich sie immer sehr mit meinen drei Worten, die ich beisteuern kann. Wir reden über die Gesellschaft, wie Einladungen funktionieren, was Pünktlichkeit ist (ü!), daß man sich anschaut, wenn man sich begrüsst. Andere Freiwillige sind Studenten, Marketingberaterinnen, Unternehmer, Pensionierte. Einer ist im Rollstuhl, er hört schlecht, das ist eine schwierige Kombination mit Leuten, die Sprache üben müssen.
Wir machen das Beste daraus, s’mues halt, das habe ich im Ägerital gelernt. Wir werden bereichert durch diese Besucher, hoffentlich können wir ihnen auch etwas geben.
Esther van Messel wurde 1965 in Wien geboren. Sie studierte und arbeitete lange Zeit in Israel, mittlerweile hat sie ihre eigene Firma in Zürich und Berlin für Produktion und Vertrieb von Dokumentationen und Filmen. Seit Anfang 2016 ist sie engagiertes Mitglied des solidarus Teams.
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By Julia
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